Hätti dadi wari – auf der Suche nach dem Konjunktiv
Warum so eine merkwürdige Überschrift? Ganz einfach: Hätti, dadi, wari ist ein bayrisches Sprichwort (Hätte ich, Täte ich, Wäre ich), was Anja gern mal über die Lippen geht und was genau unsere Situation im Harz beschreibt:
Hätte es kein Corona und damit kein Beherbergungsverbot gegeben, wäre das Wetter schöner und die Wanderwege trockener gewesen und hätte Anja nicht eine Mordserkältung ausgebrütet, wäre unsere Tour auf dem Harzer Hexenstieg sicher sehr schön geworden.
So war es für uns sehr anstrengend, unsere Lust am Wandern ohne Gepäck nicht zu verlieren, im dichten Nebel und mit nassen Füßen immer noch positiv zu denken und uns abends auf den nächsten Wegabschnitt zu freuen. Es war sicher nicht unsere schönste Wandertour, aber vielleicht eine der Touren, in denen wir am meisten Erfahrungen sammeln konnten und ein bisschen stolz auf uns sein können, „trotzdem“ durchgehalten zu haben.
Wir haben 77 km in 5 Tagen zurückgelegt (mit unseren kleinen Touren vor und nach dem Hexenstieg), den Harz bei viel Regen und wenig Sonnenschein kennengelernt und können ein Häkchen an den Brocken setzen. Wir kommen in 10 Jahren wieder, wenn es uns denn noch gibt, und schauen, was aus dem „Urwald“-Projekt geworden ist. Jetzt sind wir erst mal froh, wieder in der Heimat zu sein.
Du magst lieber eine Videoversion der Wanderung? Dann klick hier in unseren YouTube-Kanal:https://youtu.be/f5Yh6gPipr0
Stille, undurchdringlicher, weißer Nebel, kalter Wind und winzige Wassertröpfchen. Seiffen hieß uns mit kaltnassem Winterwetter willkommen. Kein Grund für Anja und mich, traurig zu sein, hatten wir uns doch ein bisschen Abgeschiedenheit und Ruhe nach den hektischen und leider viel zu besinnungslosen (statt besinnlichen) Weihnachtstagen gewünscht.
Erfüllt wurde uns dieser Wunsch in erster Linie durch das wundervoll ruhige Hotel Wettiner Höhe, das ganz nah am Seiffener Kurort liegt und trotzdem so weit davon entfernt ist, dass man ganz für sich sein kann.
Doch allein mit Ruhe war es uns noch nicht getan – wir wollten Wandern, denn das ist neben Ausruhen unsere zweitliebste Beschäftigung, wenn wir schon mal zusammen Urlaub haben. Also suchten wir uns bei Outdooractive eine empfohlene Route aus – „Rund um Seiffen und den Schwartenberg“, eine Tagestour von 13 km Länge entlang dem Kammwegabschnitt 09.
Wir starteten gegen Mittag, voller Hoffnung, dass der Nebel sich vielleicht lichten würde. Tat er aber nicht! Und da nur die Harten in den Garten kommen, sind wir mit den Worten „Wir sind so hart und so toll und so super!“ frohen Mutes losgelaufen. Herrlich, wenn die Lust am Wandern über die nicht ganz so optimalen Wetterbedingungen siegt. Außerdem bestand Hund Diego freudig schwanzwedelnd auf eine ausgiebige Gassirunde.
Der erste Wegabschnitt gestaltete sich rutschig und glatt, aber wen wundert das Anfang Januar? Wir streiften durch geheimnisvoll umnebelte Wälder, über kahle Felder, die kein Ende zu haben schienen, begleitet von den einsamen Rufen der Nebelkrähen. Es war märchenhaft und gespenstig zugleich, erinnerte doch alles irgendwie an das Verlaufen von Hänsel und Gretel oder an eine Sage von den Ufern des Styx.
Mitten im Wald fanden wir an einem großen Rastplatz die ersten Hinweisschilder und machten uns auf in Richtung Ortsmitte Seiffen. Wie aus einem Gemälde von Andreas Achenbach, so wirkten die orangen, toten Blätter an den Bäumen des nebelumsponnenen Waldes. Die geheimnisvolle Winterstille tat ihr Übriges dazu, so dass wir spätestens jetzt zu dem Schluss kamen, eine wirklich gute Entscheidung getroffen zu haben, trotz des Wetters loszulaufen.
Bergab folgten wir den Hinweisen zur Seiffener Kirche und den scheinbar überall auftauchenden „Kamm“-Hinweisschildern. Kurios wurde es dann an einem Baum, an dem zwei „Kamm“-Schilder befestigt waren, die gegenseitig auf sich zeigten. Hier verzweigte sich der Weg sogar noch in 4 verschiedene Richtungen und wir brauchten den Handy-Kompass und die App von Outdooractive, um den kleinen Trampelpfad zu finden, der uns weiter in Richtung Kirche führen sollte. Mir ging so durch den Kopf, dass das wieder mal typisch war: Man sieht nur das Offensichtliche, das, was man erst suchen muss, bleibt uns oft verborgen.
Schließlich gelangten wir über den Trampelpfad an eine Straße, der wir für ca. 200 m folgten, um dann auf einen wundervollen Waldweg, den sogenannten Mühlenweg, zu treffen, der ein traumhaftes Panorama über Seiffen bot. OK, er hätte ihn geboten, wenn denn nicht der Nebel gewesen wäre. Wir haben es uns einfach vorgestellt.
Nun war auch die Seiffener Kirche endlich in Blickweite. Vorbei am Skilift, der leider nicht in Betrieb war (Leider lag zu wenig Schnee.), erstreckte sich vor uns der herrliche Blick auf Seiffen. Die Nebelwolken waren noch ein Stück tiefer gesunken, aber wir verloren unser Zwischenziel – die Seiffener Kirche – nicht aus den Augen. Traumhaft war eine einzelne Laterne, die Anja spontan zum Singen bewegte. Sie stimmte das Lied „Lili Marleen“ von Marlene Dietrich an, in dem es heißt
„Wenn sich die späten Nebel drehn Werd‘ ich bei der Laterne steh’n Wie einst Lili Marleen.“
und Diego und ich hörten ihr schwer beeindruckt zu. Das war einfach zu passend und wunderschön.
Die letzten Meter zur Seiffener Kirche nahmen wir leichten Schrittes und so gelangten wir über das Friedhofstor zum Kircheneingang. Anja und Diego warteten draußen und ich lunzte neugierig in genau die Kirche, die auf so vielen erzgebirgischen Schwibbögen zu sehen ist. Es war ein bisschen, als würde ich in meine Kindheit abtauchen, denn das Modell der Kirche mit den darum angeordneten Kurrendekindern und den hübschen, kleinen Laternen ließen mich oft glauben, dass es so einen zauberhaften Ort gar nicht geben konnte.
Das Kirchlein ist klein und schlicht, bestückt mit Seiffener Volkskunst, den ortstypischen, bunten Laternen und edel geschnitzten Holzverzierungen. Es lohnt sich auf jeden Fall, auf der Wanderung dort inne zu halten und sich einen Moment zum Besichtigen Zeit zu nehmen.
Beim Heraustreten aus der Kirche erwarteten mich Anja und Diego mit einer großen Ladung Schnee – die himmlischen Schleusen hatten sich geöffnet und große Flocken fielen auf uns herab. Wir beschlossen, dass es Zeit für eine Pause wäre, denn das Mittagessen hatten wir nach dem leckeren Frühstück im Hotel ausfallen lassen. Da wir gerade im Ortszentrum waren, kehrten wir schnell in einem kleinen Imbiss ein. Dort gab es Kartoffeln mit Quark. Die Stärkung zahlte sich aus, der Schnee hatte nämlich ein Einsehen mit uns und hörte nach dem Essen auf zu fallen.
Wir kehrten wieder um und gingen die 200 Meter zurück zur Kirche, vorbei an den „Kussmannl’n“, die sich den ganzen Tag küssen dürfen. Außerdem blickten wir auf unserem Weg in ein Fenster, das über und über mit bestückten Streichholzschachteln gefüllt war. Das war wirklich fantastisch.
Die „Kamm“-Hinweisschilder führten uns schließlich weg von der Straße und dem Zentrum auf den Bergbaupfad, der uns mit einer atemberaubenden Pinge begrüßte. Die Freilichtbühne war leider wegen Lebensgefahr geschlossen, aber der Blick auf das imposante, von Menschen geschaffene Theater, genügte uns völlig. Wir stiegen die Treppen des Theaters empor zu einem Aussichtspunkt, der uns Seiffen zu Füßen legte. Aber, ihr könnt es euch schon denken – so richtig gesehen haben wir nichts.
Hier kreuzten wir auch die Anton-Günther-Runde, die uns eine bergbauliche Frage stellte. Was genau diese Runde ist, haben wir leider nicht herausgefunden, aber vielleicht könnt ihr uns ja in den Kommentaren weiterhelfen. Es muss auf jeden Fall etwas mit GPS-Koordinaten zu tun haben, denn diese standen immer hinter den möglichen Antworten.
Weiter ging’s oberhalb des Theaters, dann raus aus der Stadt und auf einen sehr langen, weißen Feldweg, den Ahornbergweg. Vor uns weißer Nebel, hinter uns weißer Nebel und nur der Weg lag vor uns. Ich hatte kurz eine Nahtod-Fantasie, von wegen „ins Licht gehen“ und so, aber zum Glück hat mich Anja wieder auf den Boden der Tatsachen geholt.
Diego rannte vor uns her wie ein überdrehter Schneehase. Er genoss die Weite sichtlich und verschmolz beinahe mit der Landschaft, weil er ja selbst so weiß ist. Anja nutzte seine Ausgelassenheit für eine kleine Rangelei – der Schalk stand dem kleinen Polarfuchs förmlich in die Augen geschrieben.
Unser Weg führte uns weiter fort von der Zivilisation. Der Nebel wurde immer dichter und hatte sich auch noch einmal tiefer in das Tal gesetzt. Wieder säumte das mystische Zwielicht und die einsamen Rufe der Nebelkrähen unseren Weg. Kahle Bäume tauchten schattenhaft aus der weißen Tiefe vor uns auf und verschwanden auch wieder so schnell, wie sie gekommen waren.
Wir erfreuten uns an dieser surrealen Landschaft und Anja stellte fest, dass man auch ohne Sonnenlicht Endorphine tanken konnte, einfach nur durch das Draußensein bei Tageslicht und an der frischen Luft. Wir passierten das Freilichtmuseum, querten die Hauptstraße und bogen dann ab in Richtung Waldgasthof Bad Einsiedel. Wir überlegten, ob wir uns dort noch einen heißen Kakao gönnen sollten, machten das aber abhängig von der Zeit.
Diego bekam jetzt sein Leuchtbändchen um, denn in dem weiß verschneiten Wald und dem dicken Nebel wäre er uns sonst verloren gegangen.
Am Waldgasthof war der Nebel so dick und die Zeit so weit fortgeschritten, dass wir uns entschieden, gleich weiter zu laufen. Es lagen noch gute 5 km vor uns und wir waren schon leicht besorgt, dass wir vor dem Einbruch der Dunkelheit ankommen würden. In dem dichten Nebel wollten wir lieber nicht bei Finsternis umherirren.
Der Weg führte uns weiter durch den traumhaften Winterwald, bis wir auf ein Feld gelangten, an dem es wieder auf die Straße zum Schwartenberg gehen sollte. Da standen wir erst einmal vor einem Zaun, der uns am Weitergehen hinderte. Ein Hoch auf die Technik – die Outdooractive-App mit der Standortkarte half uns auch hier und so gelangten wir unversehrt auf die Straße zum Schwartenberg.
Der Wind pfiff stark und die Umgebung ließ uns vermuten, dass wir irgendwo „Oben“ sein mussten. Der Nebel hatte alles verschlungen und war so dicht, dass ich kurz das Gefühl hatte, in einer weißen Wolke zu stecken. Unsere Nasen liefen im Dauerbetrieb und Anja hatte zum Glück genug Taschentücher für uns eingepackt. Es war eisig kalt. Kleine Nebeltröpfchen sammelten sich auf unserer Kleidung und pieksten unsere roten Gesichter.
Unterwegs lasen wir noch, dass die Schwartenberg-Baude gerade Betriebsruhe hat, so hatte sich das auch dort mit dem Kakao erledigt. Wir philosophierten darüber, ob wir jemals wieder aus dem Nebel kommen würden, so dicht wie er war. Zum Glück gab es die letzten paar Meter zur Baude noch mal einen schönen Anstieg, der uns wieder die Wärme in unsere ausgekühlten Körper trieb. An den nur temporär funktionierenden Gesichtsmuskeln hat das leider nichts geändert.
Rotköpfig, mit eingefrorenen Wangen, nassen Klamotten und hechelnd kamen wir schließlich an der Schwartenberg-Baude an und uns war eines klar: Es konnte nur noch abwärts gehen. 🙂
Die warme Dusche im Hotel lockte uns mit verführerischem Rufen und so nahmen wir die 2,5 km Wanderung zur Ortsmitte Seiffen auf, um dem Ruf schnellstmöglich zu folgen.
Wir landeten an einem riesigen „Kamm“-Hinweisschild und überlegten, ob es sowas wie Nebelwahn gab, denn wir hatten das Gefühl, heute schon überall einmal gewesen zu sein. Alles sah weiß und gleich aus.
Irgendwann sahen wir endlich das Licht – nun aber wirklich. Da es das Ende der Seiffener Weihnacht war, erstrahlte der ganze Ort in all seiner Pracht. Überall brannten Schwibbogen, Weihnachtsbäume und Lichterketten und führten uns mit ihrem bunten Strahlen aus dem mittlerweile dunklen Wald heraus. Die Zeit war fortgeschritten und der Abend war durch den dicken Nebel noch schneller angebrochen, als er das um diese Jahreszeit sowieso schon tat.
Mein mulmiges Gefühl legte sich. Ich sah uns nicht mehr umherirrend durch die Seiffener Peripherie wandern und freute mich einmal mehr auf das warme Hotel.
Wir genossen den Weg durch das Spielzeugdorf Seiffen und fühlten uns zum Abschluss unsere Wanderung noch einmal märchenhaft belohnt, waren wir doch in ein Lichtermeer aus erzgebirgischer Volkskunst und liebevoll geschmückten Häusern getaucht.
Am Hotel angekommen, schlüpften wir beide in unsere Zimmer und gönnten uns eine heiße Dusche. Diego wurde ebenfalls geduscht, war er doch durch den ganzen nassen Matsch unterwegs zu einer zweifarbigen Hunderasse mutiert – Oberstübchen weiß, Unterboden schwarz.
Frisch geduscht und aufgewärmt mit schöner, trockener Kleidung liefen wir aber gleich noch einmal zurück in die Ortsmitte. Das ist ein Fußmarsch von 15 min und der hat sich für uns an diesem Abend richtig gelohnt.
Wir kehrten in die wunderschöne Gaststätte „Zum Holzwurm„ ein und bekamen dort ein köstliches Belohnungsmahl – lauwarmer Ziegenkäse mit Honig & Thymian gratiniert und marinierte Blattsalate mit Birnenspalten, Walnüssen und Cranberries. Klingt das nicht himmlisch? Ich sag’s Euch, das war es auch. Eine echte Empfehlung, wenn ihr einmal in Seiffen seid.
Das Restaurant wurde liebevoll ausgebaut und sieht einfach urig und wunderschön aus, mit vielen Volkskunstartikeln aus dem Ort und leuchtenden Sternen, die wieder die Erinnerungen an die Märchen aus der Kinderzeit aufkommen ließen.
Gesättigt und seeeehhhhhr zufrieden mit uns ging es zurück ins Hotel. Ein traumhafter Tag ging zu Ende und wir trafen den Entschluss, unbedingt noch einmal bei schönerem Wetter wiederzukommen.
FAZIT: Der Rundwanderweg „Rund um Seiffen und den Schwartenberg“ ist herrlich abwechslungsreich mit vielen lohnenden Zwischenstationen, wie die Seiffener Kirche, die Freilichtbühne oder die Schwartenbergbaude. Die Wege sind größtenteils fernab von der Straße und damit wunderbar zum entspannten Wandern geeignet. Viele Aussichtspunkte bieten allerhand Perspektiven auf Seiffen und seine Umgebung.
Absolut empfehlenswert – vor allem, wenn es gerade mal keinen Nebel gibt. 🙂